Buddhas Lehren für die Welt: Eine Philosophie des Lebens
30.10.2024
Mehr als Meditation: Buddhismus als Philosophie und Religion. Der Religionsphilosoph Sebastian Gäb im Interview.
30.10.2024
Mehr als Meditation: Buddhismus als Philosophie und Religion. Der Religionsphilosoph Sebastian Gäb im Interview.
Ist der Buddhismus eher eine Religion oder eine Philosophie?
Sebastian Gäb: Bei dieser Frage steht die Annahme im Hintergrund, es müsse entweder das eine oder das andere sein. Oft gelten Kriterien wie „Glauben“ als typisch für Religionen, während Philosophie oder Wissenschaft auf Erfahrung und Erkenntnis beruhen. Doch Religionen, auch der Buddhismus, sind große und komplexe Phänomene, die beides vereinen. Religionen haben immer auch philosophische Theorien über die Welt, darüber, was gut ist oder was schlecht. Klammert man die typisch religiösen Elemente aus, dann kann der Buddhismus auch als eine reine Philosophie verstanden werden. Es ist eine Frage, mit welchem Forschungsinteresse man an den Buddhismus herangeht.
Welche religiösen Aspekte gibt es im Buddhismus?
Oft wird das „Transzendente“ als charakteristisch für Religionen angesehen, also etwas, das über die profane, alltägliche Wirklichkeit hinausgeht. Im Buddhismus sind dies zum Beispiel die Konzepte von Wiedergeburt, dem Austritt aus dem Kreislauf des Leidens und das Erreichen des Nirvana. Im gelebeten Buddhismus gehören auch religiöse Rituale wie die Verehrung von Buddhas, oder Institutionen wie Klöster dazu.
Der Buddhismus ist eine sehr alte Weltanschauung. Wie stellen sich die historischen Gegebenheiten dar im Vergleich zum heutigen Buddhismus – in einer Lebenswelt mit vielfältigen Herausforderungen und Zwängen?
Die Situation, in der der Buddhismus entstand, ähnelt der Gegenwart mehr als man meinen sollte. Er entstand in einer Zeit gesellschaftlicher Veränderungen in Indien, als Menschen vermehrt die traditionelle vedische Religion hinterfragten. Vor dem Hintergrund einer komplexer werdenden Wirtschaft und Gesellschaft nahmen die soziale Mobilität und der Ausbruch aus traditionellen Strukturen zu. Änhlich wie heute fingen Menschen an, auf eigene Faust nach Sinn zu suchen und neue Denk- und Lebensformen zu entwickeln.
Ein Ziel des Buddhismus ist Erleuchtung, das Erkennen der Welt mit allen ihren Leiden und die Befreiung daraus. Ist diese Art der Erfahrung im heutigen Leben überhaupt realistisch?
Der Buddha sagte, der Weg zur Erleuchtung sei schwierig und erfordere volles Engagement, oft über mehrere Wiedergeburten hinweg. Wer die Erleuchtung schnell erreichen will, kann sozusagen den „Turbo“ einlegen und sich in ein asketisches, klösterliches Leben zurückziehen. Doch auch im Alltag kann man seine Lehren ernst nehmen und schrittweise dem Ziel näherkommen – selbst wenn das Endziel, Erleuchtung und Nirvana, noch fern sein mag und sich das Erreichen auch über die nächsten Leben erstrecken kann.
Was sind die größten Unterschiede zwischen einer „westlichen“ Lebensauffassung, in dem Buddhismus eher eine Art Lifestyle ist, und der eigentlichen Weltanschauung?
Im Westen sehen wir das Leben normalerweise als einmalig – es beginnt mit der Geburt, es endet mit dem Tod und Leben ist das und nur das, was dazwischen liegt. Der Buddhismus betrachtet das aktuelle Leben als eines von vielen, als Teil eines fortlaufenden Zyklus, beeinflusst durch das Karma aus vergangenen Leben. Was wir erleben, ist nicht zufällig, sondern verursacht durch unsere Handlungen in der Vergangenheit.
Welche Missverständnisse resultieren aus diesem Verhältnis?
Wir neigen dazu, die Aspekte aus dem Buddhismus herauszupicken, die am besten zu unserer Lebenswirklichkeit passen. Ein Beispiel ist die buddhistische Achtsamkeitsmeditation, die nach modernem westlichen Verständnis vor allem „gut tun“ soll. Dabei soll sie nach der ursprünglichen Idee des Buddha eigentlich aus der Unwissenheit herausholen, und uns die Realität des Leidens bewusst zu machen. Buddhistische Texte empfehlen etwa, über die verschiedenen Stadien der Verwesung des eigenen Körpers zu meditieren. Meditation soll also nicht alles in Ordnung bringen – jedenfalls nicht sofort –, sondern die negativen Seiten des Lebens bewusst machen, denn nur so können sie überwunden werden.
Durch Meditation soll erreicht werden, dass man sich der Anhaftungen des Leidens bewusst wird: Man gelangt demnach irgendwann zur Erleuchtung und schließlich ins Nirvana. Wie ist dieses Konzept zu verstehen?
Nirvana ist der Zustand, in dem das Leiden endet und die Wiedergeburten zum Stillstand kommen. Was es darüber hinaus bedeutet, lässt sich sprachlich nicht fassen, wie der Buddha betonte. Nirvana ist nicht einfach nur das Ende des Leidens, es ist ein Zustand jenseits der gewöhnlichen Realität – etwas, das man nur selbst erfahren kann, aber nicht beschreiben. Man könne, so der Buddha, in den tiefsten und intensivsten Stadien der meditativen Versenkung einen Vorgeschmack auf das Nirvana bekommen, jedoch ohne dauerhaft in diesem Zustand zu bleiben. Das endgültige Nirvana ist erst mit dem Tod des Körpers erreichbar.
Bedeutet Ihnen die Lehre Buddhas persönlich etwas?
Der Buddhismus ist für mich eine der faszinierendsten Philosophien der Welt. Ich würde mich selbst nicht als Buddhist bezeichnen - aus Respekt vor allen, die diesen Weg wirklich leben. Aber ich praktiziere selbst buddhistische Meditation und denke, dass die Philosophie des Buddhismus dabei helfen kann, uns selbst, die Realität und das Dasein besser zu verstehen und uns darin zu orientieren.
Zur Person
Sebastian Gäb ist Professor für Religionsphilosophie an der LMU. Im Fokus seiner Forschung stehen religiöse Sprache, religiöser Pluralismus und globale Religionsphilosophie sowie die klassische chinesische und buddhistische Philosophie und die Philosophie von Tod und Unsterblichkeit.
Publikation
Sebastian Gäb: Die Philosophie des Buddha. Eine Einführung. Narr Francke Attempto / UTB 2024. ISBN-13: 978382526201